2008 Beschwerden gegen Einspracheentscheide des Migrationsamts
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86 Meldepflicht gemäss Art. 6 EntsG; Sanktionierung eines Meldepflichtver- stosses I.c. hat die Beschwerdeführerin gegen die Meldepflicht von Art. 6 EntsG verstossen (Erw. II./2.). Die Sanktionierung des Meldepflichtverstosses hat aus Rechtsgleichheits- gründen gemäss Bussenkatalog des Migrationsamtes zu erfolgen (Erw. II./3.).
Aus dem Entscheid des Rekursgerichts im Ausländerrecht vom 30. Mai
2008 in Sachen H.H.S. betreffend Meldepflichtverstoss (1-BE.2007.5).
Aus den Erwägungen
II. 2.
2.1. Das Abkommen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitglied-
staaten (EG-17) andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeits-
abkommen [FZA]) vom 21. Juni 1999 hat unter anderem das Ziel, zu
Gunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen
Gemeinschaft und der Schweiz die Erbringung von Dienstleistungen
im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien zu erleichtern und insbeson-
dere kurzzeitige Dienstleistungen zu liberalisieren (Art. 1 lit. b FZA).
Gestützt auf Art. 5 FZA wird einem Dienstleistungserbringer das
Recht eingeräumt, Dienstleistungen im Hoheitsgebiet der anderen
Vertragspartei zu erbringen, deren tatsächliche Dauer 90 Arbeitstage
pro Kalenderjahr nicht überschreitet. Dieses Recht haben auch
Staatsangehörige der EFTA-Staaten (Island, Fürstentum Liechten-
stein und Norwegen, vgl. Art. 1 und 5 Anhang K des Übereinkom-
mens zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation
[EFTA-Übereinkommen] vom 4. Januar 1960, konsolidierte Fassung
des Vaduzer Abkommens vom 21. Juni 2001). Selbständig erwer-
bende EG-17/EFTA-Staatsangehörige und durch Unternehmen mit
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Sitz in einem EG-17/EFTA-Staat entsandte Arbeitnehmende benöti-
gen zur Erbringung einer grenzüberschreitenden Dienstleistung keine
Bewilligung, wenn ihr Aufenthalt bzw. die Dauer der Dienstleistung
90 Arbeitstage pro Kalenderjahr nicht übersteigt (Art. 14 der Verord-
nung über die schrittweise Einführung des freien Personenverkehrs
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäi-
schen Gemeinschaft und deren Mitgliedstaaten sowie unter den Mit-
gliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation [Verordnung
über die Einführung des freien Personenverkehrs, VEP] vom 22. Mai
2002).
2.2. Gemäss Art. 2 Abs. 4 Anhang 1 FZA (bzw. Art. 2 Ziff. 4
Anhang K - Anlage 1 EFTA-Übereinkommen) können die Vertrags-
parteien von den Staatsangehörigen der anderen Vertragsparteien
verlangen, dass sie ihre Anwesenheit in ihrem Hoheitsgebiet anzei-
gen. Das heisst die Vertragsstaaten können Meldevorschriften erlas-
sen. Die Schweiz hat dies getan und verwies für das Anmeldeund
Bewilligungsverfahren bis am 31. Dezember 2007 in Art. 9 VEP auf
die entsprechenden Bestimmungen im Bundesgesetz über Aufenthalt
und Niederlassung der Ausländer (ANAG) vom 26. März 1931 und
in der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über Aufenthalt
und Niederlassung der Ausländer (ANAV) vom 1. März 1949) sowie
auf Art. 6 des Bundesgesetzes über die in die Schweiz entsandten
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (EntsG) vom 8. Oktober 1999
und auf Art. 6 der Verordnung über die in die Schweiz entsandten
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (EntsV) vom 21. Mai 2003.
Mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und
Ausländer (AuG) vom 16. Dezember 2005 und der Verordnung über
Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) vom 24. Okto-
ber 2007 per 1. Januar 2008 wurde der Verweis in Art. 9 VEP ent-
sprechend angepasst.
Selbständig erwerbende EG-17/EFTA-Staatsangehörige bzw.
Arbeitgeber mit Sitz in einem EG-17/EFTA-Mitgliedstaat müssen
gestützt auf Art. 6 Abs. 1 EntsG vor Beginn des Arbeitseinsatzes der
zuständigen kantonalen Behörde schriftlich und in der Amtsprache
des Einsatzortes die für die Durchführung der Kontrollen notwendi-
gen Angaben melden. Gemäss Art. 6 Abs. 1 EntsV ist das Meldever-
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fahren nach Art. 6 EntsG grundsätzlich für alle Arbeiten obligato-
risch, die länger als acht Tage pro Kalenderjahr dauern. Die Meldung
hat bei Tätigkeiten im Bereich des Bauhauptund Baunebengewer-
bes, des Gastgewerbes, des Reinigungsgewerbes, des Reisendenge-
werbes und des Erotikgewerbes unabhängig von der Dauer der Ar-
beiten zu erfolgen (Art. 6 Abs. 2 EntsV). Besteht eine Meldepflicht,
so ist die Meldung mindestens acht Tage vor Arbeitsbeginn vorzu-
nehmen (Art. 6 Abs. 3 EntsG). In Notfällen wie Reparaturen, Unfäl-
len, Naturkatastrophen anderen nicht vorhersehbaren Ereignis-
sen kann die Arbeit ausnahmsweise vor Ablauf der achttägigen Frist
nach Art. 6 Abs. 3 EntsG beginnen, frühestens jedoch am Tag der
Meldung (Art. 6 Abs. 3 EntsV). Für den Kanton Aargau ist das Mi-
grationsamt die zuständige Meldestelle (Art. 7 Abs. 1 lit. d EntsG
i.V.m. § 8 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung zur Bundesgesetzge-
bung über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer [VEA] vom 15. Oktober 2003).
2.3. Die Beschwerdeführerin meldete am 26. September 2006
dem Migrationsamt die Entsendung eines Arbeitnehmers und des
Geschäftsinhabers für Montagearbeiten am 27. September 2006 in
M. Da die achttägige Meldefrist nicht eingehalten worden war, ver-
weigerte das Migrationsamt die bewilligungsfreie Erwerbstätigkeit
am selben Tag. Am 27. September 2006 führte das Migrationsamt in
M. eine Kontrolle durch. Der Aktennotiz des kontrollierenden In-
spektors vom 29. September 2006 ist nur zu entnehmen, dass der
Angestellte der Beschwerdeführerin keine Meldung habe vorweisen
können. Aus der Notiz geht jedoch nicht hervor, dass auch der Ge-
schäftsinhaber der Beschwerdeführerin angetroffen wurde. Ebenso
wenig wurde festgehalten, ob überhaupt bzw. wer, was in M. gear-
beitet hatte.
Das Migrationsamt erliess die Bussenverfügung vom 31. Ok-
tober 2006 gestützt auf die nachträglichen Angaben des kontrol-
lierenden Inspektors vom 30. Oktober 2006, wonach der Ge-
schäftsinhaber der Beschwerdeführerin ihm erklärt habe, die Monta-
gearbeiten müssten ausgeführt werden, weil der Auftraggeber tags
darauf in die Ferien fahren wolle und er andernfalls eine Konventio-
nalstrafe bezahlen müsse und wonach der Mitarbeiter der Beschwer-
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deführerin ihm mitgeteilt habe, er sei zur Montage der Fenster vor
Ort. Die Vorinstanz bestätigte den Entscheid des Migrationsamts,
nachdem sie beim Auftraggeber die Auskunft eingeholt hatte, die
Fenster seien am 27. September 2006 durch die Beschwerdeführerin
montiert worden. In ihrem Entscheid geht die Vorinstanz ebenfalls
davon aus, dass der Mitarbeiter der Beschwerdeführerin die Monta-
gearbeiten verrichtet hat. Die Beschwerdeführerin bestritt in ihren
Eingaben stets, dass ihr Mitarbeiter das Fenster montiert hat. Am
15. Mai 2008 erklärte der Geschäftsinhaber, er selber habe die Fens-
termontage ausgeführt.
Aufgrund der vorliegenden Akten und der Auskunft des Ge-
schäftsführers der Beschwerdeführerin vom 15. Mai 2008 steht fest,
dass die Lieferung und die Montage des Fensters am 27. September
2006 ausgeführt werden musste bzw. auch wurde, da der Auftragge-
ber am nächsten Tag in die Ferien fuhr. Hinsichtlich der Anzahl
montierter Fenster ist festzustellen, dass irrelevant ist, ob es um den
Einbau mehrerer Fenster wie die Beschwerdeführerin geltend
macht - nur eines Fensters ging. Die Fenstermontage stellt so so
eine Tätigkeit im Bereich des Bauhauptund Baunebengewerbes im
Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. a EntsV dar, bei der unabhängig von der
Dauer der Arbeiten, das heisst vom ersten Tag an, eine Entsendemel-
dung obligatorisch ist. Da die Entsendemeldung für den Geschäftsin-
haber der Beschwerdeführerin ebenfalls zu spät erfolgte und das Mi-
grationsamt in der Folge die bewilligungsfreie Erwerbstätigkeit ver-
weigerte, liegt ein Meldepflichtverstoss im Sinne von Art. 6 EntsG
vor. Es stellt sich im Folgenden die Frage, inwiefern dieser Melde-
pflichtverstoss zu sanktionieren ist.
3.
3.1. Gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. a EntsG kann die zuständige kan-
tonale Behörde bei Verstössen gegen Art. 6 EntsG eine Verwaltungs-
busse bis CHF 5'000.00 aussprechen, wobei die Sonderordnung nach
Art. 7 des Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) vom
22. März 1974 zur Anwendung kommt. Danach kann von einer Ver-
folgung der gemäss Art. 6 VStrR strafbaren Personen Umgang ge-
nommen und an ihrer Stelle die juristische Person, die Kollektiv-
oder Kommanditgesellschaft die Einzelfirma zur Bezahlung der
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Busse verurteilt werden, wenn eine Busse von höchstens
CHF 5'000.00 in Betracht fällt und die Ermittlung der nach Art. 6
VStrR strafbaren Personen Untersuchungsmassnahmen bedingen
würde, die im Hinblick auf die verwirkte Strafe unverhältnismässig
wären. Gestützt auf Art. 9 Abs. 2 lit. c EntsG können dem fehlbaren
Arbeitgeber die Kontrollkosten ganz teilweise auferlegt werden.
3.2. Gemäss Bussenkatalog des Migrationsamts vom 17. August
2005 unterscheidet das Migrationsamt zwei Arten von Meldepflicht-
verstössen. Für den Fall, dass die Entsendemeldung für eine Person
zu spät, aber vor Arbeitsbeginn erfolgt, wird eine Busse von
CHF 250.00 erhoben. Ausserdem werden dem Betroffenen die Aus-
lagen auferlegt. Erfolgt die Entsendemeldung nach Arbeitsbeginn
oder überhaupt nicht, so wird eine Grundbusse von CHF 500.00 und
CHF 200.00 pro Person ausgesprochen. Hinzu kommen die Kontroll-
kosten und die Auslagen. Eine unterschiedliche Gewichtung der Mel-
depflichtverstösse und die entsprechende Sanktionierung erscheint
grundsätzlich gerechtfertigt und ist nicht zu beanstanden.
3.3. Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen von Art. 7
VStrR gegeben und die Beschwerdeführerin kann aufgrund des Ver-
stosses gegen die Meldepflicht gestützt auf Art. 9 Abs. 2 EntsG sank-
tioniert werden. Das Migrationsamt sprach gegen sie eine Busse von
CHF 700.00 aus und auferlegte ihr Kontrollkosten von CHF 210.00
und weitere Auslagen von CHF 63.50. Das Migrationsamt und die
Vorinstanz sind davon ausgegangen, der Mitarbeiter der Beschwerde-
führerin habe das Fenster montiert. Nachdem die Entsendung des
Arbeitnehmers durch die Beschwerdeführerin lediglich zu spät und
vor Arbeitsbeginn gemeldet worden war, ist nicht nachvollziehbar,
weshalb das Migrationsamt die Beschwerdeführerin nicht gemäss ih-
ren diesbezüglich aufgestellten Richtlinien (Bussenkatalog) bestrafte.
Sie verstiess damit gegen das Rechtsgleichheitsprinzip.
Aufgrund der Akten und der Auskunft des Geschäftsinhabers
der Beschwerdeführerin, steht fest, dass der Geschäftsinhaber das
Fenster montiert hat. Auch ihm wurde die bewilligungsfreie Er-
werbstätigkeit verweigert, weil die Meldung zu spät, aber noch vor
Arbeitsbeginn erfolgt war. Wie ausgeführt erweist sich die durch das
Migrationsamt ausgesprochene Busse in der Höhe von CHF 700.00
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und die Auferlegung der Kontrollkosten von CHF 210.00 damit als
ungerechtfertigt. Vielmehr ist die Beschwerdeführerin gemäss Bus-
senkatalog des Migrationsamts aufgrund des Meldepflichtverstosses
(zu späte, aber vor Arbeitsbeginn erfolgte Entsendemeldung) mit ei-
ner Busse von CHF 250.00 und der Auferlegung der Auslagen von
CHF 63.50 zu bestrafen.
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